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Rezension: Algorithms to Live By

Ich möchte gleich zu Beginn ein Buch besprechen, das einen riesigen Beitrag dazu geleistet hat, dass mir der Zusammenhang zwischen „Computer-Algorithmen“ und „Alltags-Algorithmen“ klar geworden ist. Es handelt sich um das Buch „Algorithms to Live By“ (deutsch: Algorithmen für den Alltag) von Brian Christian und Tom Griffiths.

B. Christian, T. Griffiths: Algorithms to Live By. Henry Holt, 2016

In dem Buch zeigen die Autoren anhand zahlreicher Beispiele auf, wie Algorithmen, die ich aus der Informatik seit Jahren kannte, auch im Alltag ganz selbstverständlich zum Einsatz kommen. Und ich muss zugeben, dass ich an manchen Stellen schlicht fassungslos war, dass mir das nicht einmal aufgefallen war, obwohl mir sowohl Algorithmus als auch Alltagssituation durchaus vertraut waren. Umgekehrt werden auch Alltagssituationen besprochen, die wir alle kennen, und mit Algorithmen verknüpft, die vielleicht weniger bekannt sind, die aber nichtsdestotrotz entweder sinnvoll sind oder zumindest ein neues Licht auf unsere tatsächlichen Entscheidungen werfen.

Wer einen ersten Eindruck von den Ideen bekommen will, die in „Algorithms to Live By“ diskutiert werden, dem sei Tom Griffiths‘ TED-Talk von 2017 empfohlen, den man auf Youtube finden kann. Für alle anderen möchte ich hier ein paar Beispiele auflisten:

  • Der Explore-Exploit-Tradeoff zeigt, wie sich das Verhältnis zwischen „Neues ausprobieren“ und „Erprobtes genießen“ im Laufe der Zeit verschiebt und auch, dass sich das tatsächliche Verhalten von Menschen meist erstaunlich nah an der Idealkurve liegt. Ich selbst habe auch gelernt, dass ich nahezu zum mathematisch perfekten Zeitpunkt geheiratet habe…
  • Das Kapitel über das Sortieren im Alltag (Sie sortieren im Alltag gar nicht? Dachte ich auch…) hat mich gleich mehrfach überrascht und mich zu einer Reihe von Überlegungen angeregt, von denen in künftigen Blogeinträgen noch die Rede sein wird.
  • Speicherhierarchien hielt ich ebenfalls für etwas, was nur in Computern vorkommt. Wieder falsch gedacht…
  • Im Kapitel über Netzwerke gab es gleich mehrere Fundstücke, die mir sehr zu denken gegeben haben. So habe ich da gelernt, warum wir genauso wie Computer darauf achten müssen, unsere Eingangspuffer (physisch ebenso wie geistig) nicht zu überlasten, und ich habe verstanden, was mit Messies wirklich passiert. Aber auch die Exponential-Backoff-Strategie fand ich erhellend und die Erkenntnis, dass sie im Umgang mit anderen Menschen sinnvoller sein kann als das gängige „Ich rufe ihn zweimal an, dann kann er mir den Buckel runterrutschen“.
  • Vielleicht das größte Aha-Erlebnis aber hatte ich im Kapitel über Spieltheorie. Mir war gar nicht bewusst, welche Rolle Emotionen bei spieltheoretischen Dilemmata spielen, aber wenn man es einmal gesehen hat, macht es absolut Sinn. Und es zeichnet ein ziemlich hässliches Bild davon, wie weit das derzeit so verbreitete individualistische Weltbild an der evolutionären Wirklichkeit vorbeigeht…

Tatsächlich könnte ich hier noch stundenlang weiterschreiben, denn eigentlich habe ich alle paar Seiten etwas gefunden, was mich weitergebracht oder zumindest zum Nachdenken angeregt hat. Vor allem zeigt das Buch Zusammenhänge auf zwischen zwei Disziplinen, die ich bisher immer isoliert betrachtet habe. Dadurch hat es schon jetzt die Art verändert, wie ich Algorithmik (oder sogar Informatik insgesamt) unterrichte, und es hat mich zu einer Reihe von Forschungsideen inspiriert. Ja, allein dass ich jetzt diese Zusammenfassung schreibe, führt mich in Versuchung, das Buch erneut durchzulesen und dabei diesmal auch den Endnoten und Quellen im Anhang stärkere Bedeutung beizumessen.

Zusammenfassend kann ich nur jedem – egal ob er sich nun für Informatik interessiert oder „nur“ dafür, wie wir Menschen ticken – empfehlen, einen Blick in dieses Buch zu werfen. Ich selbst jedenfalls würde es jederzeit in der Liste der 10 Bücher führen, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Und in Anbetracht der doch ziemlich vielen Bücher, die ich besitze, will das etwas heißen!

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