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Innere Agenten

Anleitung zur Selbstüberlistung

Derzeit lese ich das Buch „Anleitung zur Selbstüberlistung“ des Wirtschaftswissenschaftsprofessors, Autors und Youtubers Christian Rieck. Es beschäftigt sich mit Techniken des Selbstmanagements, und natürlich gibt es zu diesem Thema bereits genug Bücher. Was also macht dieses Buch so besonders, dass ich es hier erwähne?

Rieck betrachtet das klassische Innerer-Schweinehund-Problem des Selbstmanagements durch eine spieltheoretische Brille. Er schließt sich dazu der neueren Kognitionsforschung an (siehe hierzu beispielsweise Jeff Hawkins: „A Thousand Brains“), die zunehmend davon ausgeht, dass unser Gehirn gar nicht diese kohärente Einheit ist, die wir immer meinen, wenn wir von unserem Ich reden. In Wahrheit besteht das Gehirn aus verschiedenen Teilen, die über unterschiedliche Informationen verfügen, unterschiedliche Ziele verfolgen und sich hinter den Kulissen (und häufig von uns unbemerkt) miteinander um die Deutungs- und Handlungshoheit streiten.

Rieck beschreibt diese verschiedenen Aspekte unseres Denkens in Form von sogenannten Agenten (von lat. agere = Handeln; mit Geheimdienstmitarbeitern hat das nichts zu tun). Wenn ich an einem Montag in meinem Sessel sitze und beschließe, am Wochenende die Terrasse zu kärchern, dann ist der, der hier die Entscheidung trifft, ein Agent. Leider ist es aber nicht der gleiche Agent wie der, der dann am Samstag tatsächlich die Arbeit machen soll. Und natürlich haben die beiden auch ganz unterschiedliche Motivationen: Während der Montags-Agent glaubt, ganz bequem mit einem Drink in der Hand die eigentliche Arbeit an die künftigen Agenten verteilen zu können, sieht das der Samstags-Agent natürlich völlig anders – warum soll ausgerechnet er seine kostbare Zeit mit der Sauerei auf der Terrasse zubringen? Warum hat das der Montags-Agent nicht selbst gemacht, oder warum kann das nicht der Nächsten-Samstag-Agent übernehmen?

Ich finde, das Konzept hat was, und es deckt sich auch mit unserer Erfahrung. Jeder Zeitpunkt hat seine Agenten, und jeder Aufgabenbereich ebenfalls. Fängt man erst einmal an, sich selbst als Ansammlung (und zeitliche Abfolge) von Agenten zu sehen, von denen keiner völlig selbstlos ist, dann entwickelt die ganze Problematik, dass wir das Angenehme dem Nützlichen vorziehen, große Ähnlichkeiten zum Führen eines Unternehmens.

In der Managementlehre wird das als Principal-Agent-Problem bezeichnet. Der „Principal“ ist der Chef, der Entscheidungen trifft, die zum Wohle des gesamten Unternehmens sind. Die „Agents“ sind dagegen die Mitarbeiter, die diese Entscheidungen umsetzen sollen, aber nicht unbedingt Lust dazu haben. Schlimmer noch: Sie verfügen auch noch über Informationen, die der Principal nicht hat (oder zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht kannte), und nutzen diese schamlos aus, um sich Vorteile zu verschaffen (was häufig bedeutet, dass sie die Anweisungen nicht ausführen). Die Managementlehre diskutiert nun, wie der Principal die Agents dazu kriegt, zu kooperieren, und wie immer bei Kooperationsproblemen landen wir schon bald in der Spieltheorie.

Agenten und Spiele

Rieck überträgt diese Überlegungen nun auf das Führen der inneren Agenten. Die Techniken des Selbstmanagements, die er dazu vorschlägt, sind soweit nicht wirklich neu, aber das Framing als spieltheoretisches Problem ist es (zumindest habe ich das sonst noch nirgends gesehen). Wobei ich persönlich mir gewünscht hätte, dass der Autor diesen Ansatz noch rigoroser verfolgt hätte. Denn so richtig spieltheoretisch wird es nach der anfänglichen Motivation nicht mehr.

Das fängt schon damit an, dass das Konzept des Agenten nicht sauber definiert ist. So wird manchmal argumentiert, dass ein Agent durch seine inhaltliche Zuständigkeit definiert ist. An einer anderen Stelle steht, dass ein Agent in dem Moment abgelöst wird, in dem seine Entscheidung revidiert wird. Und dann heißt es wieder, dass der Agent am liebsten eine Belohnung nach der Arbeit hätte (was aber nichts anderes heißt, als dass er sogar jenseits seiner Zuständigkeit noch weiterexistiert).

Auch wenn ich weiß, dass zu jedem Zeitpunkt tatsächlich mehrere Agenten existieren, werden die Überlegungen durch das Arbeiten mit derart unterschiedlichen Agentendefinitionen doch ziemlich beliebig, so als würde der Autor immer gerade die Agentendefinition wählen, die zu den ohnehin bekannten Ergebnissen aus der Psychologie (insb. der Gamification) passt. Ich hätte den umgekehrten Ansatz spannender gefunden: Wenn man einen Agenten (ganz im Sinne der agentenbasierten Modellierung) klar definiert und schaut, was daraus für die Führung des inneren Schweinehundes folgt.

Was beispielsweise ergibt sich, wenn man einen Agenten einfach über die verfügbare Zeit definiert? Was weiß man darüber, wie lange Menschen bei einem Thema bleiben, bevor sie anfangen, sich zu langweilen und den Kontext zu wechseln? Haben Agenten eine Art Halbwertszeit, werden mit zunehmender Dauer immer schwächer und überlappen sich mit neuen, frischen Agenten? Und was bedeutet das für Arbeitsdauer, für Belohnungen und für die Übergabe der Arbeit an den nächsten Agenten? Vielleicht liegt in dieser Betrachtungsweise tatsächlich noch mehr Potential, als das Buch – so elegant es auch geschrieben ist – aus dem Thema herauskitzelt…

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