Das Buch „The Most Human Human“ von Brian Christian steht schon auf meiner Rezensionsliste, seit ich es im Frühjahr 2020 gelesen habe. Aber worum geht es dabei überhaupt?
Der Loebner-Preis
Schon zu Zeiten Alan Turings (als Computer noch eher so etwas wie Gedankenexperimente oder bestenfalls Prototypen waren) stellte man sich die Frage, wann eine solche „Denkmaschine“ wirklich als intelligent gelten könne. Turing beantwortete diese Frage mit seinem berühmt gewordenen Imitation Game, bei dem ein menschlicher Juror (z.B. an einer Konsole) herausfinden soll, ob er gerade mit einem Computer oder einem echten Menschen kommuniziert. Wenn ein Computer in einem solchen Test nicht als solcher erkannt werden kann, muss man ihm Intelligenz zugestehen.
Im Jahr 1990 lobte der Erfinder und Aktivist Hugh Loebner erstmals einen Preis aus für dasjenige Computerprogramm, das sich bei einem solchen Turing-Test (wie das Imitation Game heutzutage heißt) am besten schlagen würde. Seither hat der Wettbewerb jährlich stattgefunden, bis das Format im Jahr 2019 geändert wurde. Das erfolgreichste Programm gewinnt dabei den Titel des „Most Human Computer“.
Das Format des Wettbewerbs wurde allerdings von KI-Forschern stark kritisiert. So führt die Beschränkung der Kommunikation auf wenige Minuten dazu, dass erfolgreiche Programme eher mit Tricks als mit echter kommunikativer Intelligenz erfolgreich sind. Manche von ihnen arbeiten einfach mit riesigen Datenbanken echter menschlicher Kommunikation, aus der sie geeignete Antworten auswählen, andere schinden schlicht Zeit (durch Ablenkung, Abschweifen in eigene Spezialgebiete, Witze, das Stellen von Gegenfragen usw.), bis der Gong ertönt.
The Most Human Human
Es gibt aber auch einen zweiten Preis, und zwar für denjenigen menschlichen Teilnehmer, bei dem sich die Juroren am sichersten waren, dass es sich um einen Menschen handelt. Im Jahre 2009 nahm Brian Christian (der Abschlüsse in Informatik und Philosophie hat und sich daher gewissermaßen dafür prädestiniert fühlte) am Loebner-Preis teil mit der festen Absicht, die Ehre der Menschheit zu verteidigen. Tatsächlich wurde er der „The Most Human Human“ – auch, weil er sich sehr gut vorbereitet hatte. In dem Buch, um das es hier geht, beschreibt er, wie er das gemacht und was er dabei über menschliche Intelligenz und Kommunikation gelernt hat.
Tatsächlich sind seine Befunde stellenweise niederschmetternd. Kurz zusammengefasst kann man sagen, dass Computer uns nicht deshalb in immer mehr Bereichen überlegen sind, weil sie intelligenter wären als wir, sondern weil wir immer mehr Situationen so gestalten, dass unsere natürlichen Fähigkeiten zur Kommunikation und zum Problemlösen gar nicht mehr benötigt werden. Wir gehen in Gespräch, in Beruf und Alltag immer schematischer vor, so dass auch eine Maschine diese Aufgaben übernehmen kann, ohne dass wir den Unterschied noch bemerken. Wenn sich unsere Gespräche nur auf dem Niveau von „Gibst du mir mal den Flaschenöffner?“ oder „Wie war’s heute?“ – „Hmm. Okay.“ bewegen, können sie natürlich auch von Siri, Alexa & Co. übernommen werden.
Wirklich erschreckend fand ich die Beobachtung, dass sogar die Vorgehensweise der Pick-Up-Artists, die mit standardisierten Verfahren versuchen, Frauen zu erobern, im Grunde nichts anderes als Algorithmen sind. Was für sich genommen kein Problem wäre, wenn sie nicht immer wieder erfolgreich wären. Vor lauter Schreck habe ich direkt im Anschluss Neil Strauss‘ berüchtigte autobiografisches Buch „The Game“ gelesen, und ich muss sagen: da tun sich Abgründe auf, für die die bösen Informatiker nun wirklich nichts können…
Aber es gibt auch viele andere Beispiele. So führen die Wort- und Satzergänzungen, die von Messenger-Programmen von Handys verwendet werden, dazu, dass so mancher nicht mehr das schreibt, was er eigentlich vorhatte, sondern was das Programm ihm vorschlägt. So wird das stochastische Sprachmodell, das die Software verwendet, zur selbsterfüllenden Prophezeiung, und wie in so manch anderem Bereich (beispielsweise der Google-Suche oder dem Einkauf auf Amazon) wird das, was bereits besonders häufig ist, mit jeder Iteration noch häufiger. Dass Sprache dadurch verarmt, kann jeder bestätigen, der bereits seit längerem Aufsätze korrigiert und die Trends lesen kann. Und die resultierende, verarmte Sprache ist eine, die der Computer deutlich besser imitieren kann…
Ich könnte noch zahlreiche weitere Beispiele aus dem Buch nennen, aber vielleicht reicht ja das, was ich angedeutet habe, bereits aus. „The Most Human Human“ ist ein sehr intelligentes (und überdies sehr lesbares) Buch, das uns zum Nachdenken anregen will darüber, was uns als Menschen ausmacht und auch, was wir aufgeben, wenn wir dem Weg der fortschreitenden Standardisierung weiter folgen.
tl,dr: Leseempfehlung!