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Was ist überhaupt ein Problem?

Wer schon einmal eine wie auch immer geartete geisteswissenschaftliche Diskussion geführt hat, weiß um die Wichtigkeit, zunächst einmal die zentralen Begriffe sauber zu definieren. In den Ingenieurwissenschaften (zu denen große Teile der praktischen Informatik gehören) spielen Definitionen dagegen keine so große Rolle – wie ich jetzt ein Auto genau definiere, ist nicht annähernd so wichtig, wie dass es fährt.

Für das Thema dieses Blogs ist es aber nicht uninteressant, einmal einen Blick darauf zu werfen, was in den betroffenen Disziplinen unter einem Problem verstanden wird – warum, wir hoffentlich im Verlaufe des Textes deutlich.

Das Problem in der Informatik

In der Informatik wird ein Problem beschrieben, indem man sein Input und das gewünschte Output angibt sowie die Beziehung, die zwischen den beiden bestehen soll. Dieser Begriff geht natürlich auf die Mathematik zurück, aus der wir auch entsprechende Beispiele kennen:

  • Input: Zwei ganze Zahlen a und b
  • Output: Eine ganze Zahl c, so dass c=a*b

Natürlich kann man nach diesem Schema auch deutlich komplexere Probleme definieren:

  • Input: Ein Spielstand beim Schach
  • Output: Eine Strategie für Spieler Weiß, so dass er am Ende gewinnt

Für gewöhnlich sind Probleme in der Informatik wohldefiniert, d.h. sie enthalten alle Informationen, die erforderlich sind, um sie zu lösen. Das ist zwar nicht gleichbedeutend damit, dass man sie auch wirklich lösen kann (so gibt es keinen bekannten Algorithmus, mit der Spieler Weiß eine Schachpartie garantiert immer gewinnt), aber zumindest ist es hilfreich.

Probleme im wirklichen Leben sind dagegen oft nicht wohldefiniert. Hier könnte eine Problembeschreibung eher wie folgt aussehen:

  • Input: Meine gesamte Lebenssituation und meine impliziten und expliziten Präferenzen
  • Output: Eine Vorgehensweise, wie ich den idealen Partner finde und für mich gewinne

Allein mit dem Versuch, die „gesamte Lebenssituation“ sachlich zu erfassen, wäre man vollständig überfordert. Und wer schon einmal (z.B. im Rahmen eines Kurses in Entscheidungslehre) versucht hat, seine eigenen Präferenzen in Zahlen zu gießen, weiß, dass das ebenfalls nie mehr als Stückwerk ist und in vielen Fällen sogar auf Selbstbetrug hinausläuft. Das Input bleibt also vage, das Konzept des „idealen Partners“ auch, und das gesuchte Verfahren kann daher nie mehr sein als eine Heuristik – eine Annäherung an das Gewünschte, die hoffentlich ganz brauchbar, aber mit Sicherheit nicht optimal sein wird. Ein Computer wäre mit dieser Aufgabenstellung wohl überfordert (und wird es auch noch auf Jahre hin sein), aber darum geht es ja hier auch gar nicht: die Problembeschreibung entspricht dennoch dem Schema der Informatik.

Das Problem in der Psychologie

In der Psychologie treffen wir zwar im Detail recht unterschiedliche Definitionen eines Problems an. Im Kern geht es aber darum, dass ein Lebewesen ein Ziel erreichen möchte und zunächst einmal nicht weiß, wie man dazu vorgeht.

Das entspricht der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes „Problem“. Schließlich würde kaum jemand sagen: „Kannst du mal das Problem lösen, mir den Kaffee rüberzureichen?“ oder „Mr. Spock, das Problem lautet: Berechne 2 plus 2!“ Damit aus einer Aufgabe ein Problem wird, muss es eine Schwierigkeit geben, die dabei überwunden werden muss.

Kognitiv bedeutet das, dass für ein Problem im Sinne der Psychologie noch kein Lösungsverfahren im Gehirn vorhanden ist. Um das Problem zu lösen, muss erst ein solches Verfahren entwickelt werden, und dazu benötigen wir die in diesem Blog so oft bemühte Problemlösungskompetenz.

Aufgaben, Anwendungen und Probleme

Die Probleme im Sinne der Psychologie stellen also eine Teilmenge der Probleme im Sinne der Informatik dar. Für diesen Blog wirft das die Frage auf, wie künftig mit dem Begriff umgegangen werden soll, zumal es in der Psychologie wohl keinen Konsens gibt dazu, wie man Probleme mit bekannter Lösung bezeichnen sollte. Alan Schoenfeld spricht hier von exercises (also Übungen), aber das passt leider nicht zu allen Anwendungsfällen.

Ich selbst werde daher versuchen, im Folgenden so konsequent wie möglich mit den Begriffen Aufgabe, Anwendung und Problem zu arbeiten:

  • Eine Aufgabe ist definiert durch einen Startzustand, einen Zielzustand und ggf. die Einschränkungen, die beim Erreichen des Zielzustands eingehalten werden müssen. Dies entspricht im Wesentlichen dem Problembegriff der Informatik.
  • Eine Anwendung ist eine Aufgabe, für die dem Betroffenen (sei es nun ein Mensch, ein Tier oder eine Maschine) bereits ein Lösungsverfahren bekannt ist.
  • Ein Problem ist eine Aufgabe, für die dem Betroffenen zu Beginn noch kein Lösungsverfahren bekannt ist. Dies entspricht im Wesentlichen dem Problembegriff der Psychologie.

Ich hoffe, dass mit dieser begrifflichen Trennung im Folgenden vieles klarer wird und dass insbesondere die permanente Verwechslung von „Lösungsverfahren kennen“ (für Anwendungen nämlich) und „Problemlösungskompetenz“ (für echte, also neue Probleme) vermieden werden kann.

P.S.: Sollte der eine oder andere geneigte Leser bessere Ideen für diese Bezeichnungen haben, freue ich mich über einen entsprechenden Kommentar!

2 Antworten auf „Was ist überhaupt ein Problem?“

Hi Erik,
spannend. Mir fiel dazu direkt die Intuitionsforschung von Prof. Gigerenzer ein, der Intuition als unbewusste Entscheidung von Experten beschreibt, die von tausenden Faktoren eben nur 3,4 einbezieht. Ist dir aber vermutlich nicht neu.

Wenn du in die Beiträge von Januar/Februar schaust, wirst du auch schon Inhalte zu Gerd Gigerenzer finden. An ihm kommt man bei dem Thema natürlich nicht vorbei :-).

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