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Wer will wirklich Probleme lösen?

Einmal wie immer, bitte!

Bisher bin ich ja stillschweigend davon ausgegangen, dass es ein menschliches Bedürfnis ist, Probleme lösen zu können. Nun bin ich kein Psychologe, aber zumindest die Beobachtungen aus dem Hochschulalltag deuten darauf hin, dass diese Annahme keinesfalls für alle zutrifft.

Als Dozenten erleben wir immer wieder, dass sich viele Studierende nichts sehnlicher wünschen, als Aufgaben nach einem festen Strickmuster, die man auf die immer gleiche Weise lösen kann. Nun kann man ihnen das ja nicht verdenken – das ist schließlich der sichere Weg, gute Noten zu bekommen. Was mich aber nachdenklich stimmt ist, dass dieser Wunsch keinesfalls auf die Prüfungen beschränkt zu sein scheint, sondern daher rührt, dass die Fähigkeit zum Lösen neuer Probleme häufig gar nicht vorhanden ist und auch nicht angestrebt wird.

Die universelle Problemlösungsheuristik

Vermutlich jeder, der an einer Hochschule unterrichtet, kann bestätigen, dass die universelle Problemlösungsheuristik unserer Tage „Frag Google!“ heißt. Und tatsächlich kann man die Frage stellen, wo denn das Problem dabei sein soll, diese Heuristik auf so viele Probleme wie möglich anzuwenden. Löst sie das Problem etwa nicht? Ist sie etwa nicht effizienter als selbst stundenlang darüber zu brüten? Wo wäre denn die Menschheit, wenn jeder immer wieder versuchen würde, das Rad neu zu erfinden? Eben.

Da ist nur das klitzekleine Problem, dass man früher oder später an den Punkt kommt, an dem man neue Probleme lösen muss. Und wenn dann die einzige Heuristik, die man zur Problemlösung gelernt hat, darin besteht, nach einer existierenden Lösung für bekannte Probleme zu suchen, dann ist die eigene Toolbox an dieser Stelle eben leer.

Dummerweise deutet viel darauf hin, dass wir dank immer leistungsfähiger werdender Computer und der Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz künftig immer weniger Menschen brauchen werden, die bekannte Probleme mit bekannten Methoden bearbeiten. Das wird voraussichtlich schon in nicht allzu ferner Zukunft zu einer Aufgabe der Maschinen werden.

Gerade wenn es um die Abgrenzung zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz geht, wird immer wieder gern darauf verwiesen, dass der Mensch doch ein universeller Problemlöser sei, kreativ, intuitiv und vielseitig und somit den Maschinen himmelhoch überlegen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir schon bald den Beweis antreten müssen, dass dem wirklich so ist – mit Standardlösungen aus dem Internet wird das aber nicht möglich sein.

Lernziel „Problemlösungskompetenz“

In dem Zusammenhang stelle ich mir immer häufiger die Frage, inwieweit es uns in Schule und Hochschule gelingt, junge Menschen darin auszubilden, solche neuen Probleme zu lösen. In vielen Fächern hat man als Außenstehender den Eindruck, dass das Vermitteln von Wissen und das Anwenden bereits bekannter Vorgehensweisen im Mittelpunkt stehen. Das Entwickeln neuer Lösungen wird dagegen eher der Forschung zugeordnet und bleibt einem kleinen Kreis von Auserwählten vorbehalten.

Dabei sagen die Lehrpläne meist etwas ganz anderes. Sie verwenden für die Definition der Lernziele häufig die Bloomsche Taxonomie, die die zu vermittelnden Kompetenzen in sechs Stufen einteilt:

  1. Kennen (Wissen)
  2. Verstehen
  3. Anwenden
  4. Analysieren
  5. Zusammenführen (Synthese)
  6. Beurteilen (Evaluation)

Das Entwickeln neuer Lösungen fällt dabei in Stufe 5 und 6: Synthese und Evaluation. Diese Fähigkeiten werden ab einem bestimmten Punkt in so gut wie allen Lehrplänen gefordert. Nichtsdestotrotz trifft man im Alltag erstaunlich viele Menschen, deren Kompetenz trotz Bildungsabschlüssen wie Abitur, Bachelor oder sogar Master kaum über Stufe 1 hinausgehen. Offenbar werden die weitergehenden Kompetenzen oft gar nicht eingefordert, sonst wäre die Prüfungsstrategie „Bulimielernen“ nicht so häufig von Erfolg gekrönt.

Die Frage ist nun, was Ursache und was Wirkung ist. Sind die meisten Menschen schlicht nicht (oder nur unter großen Schwierigkeiten) in der Lage, Problemlösungskompetenz zu entwickeln? Und kapitulieren die Bildungsanstalten vor dieser Tatsache, indem sie auch denen, die es nicht weiter als bis zur Stufe 3 geschafft haben, trotzdem einen Abschluss geben, um nicht von eifrigen Sparpolitikern wegen schlechter Absolventenzahlen geschlossen zu werden? Oder erzieht die Art, wie Kompetenzen vermittelt und abgeprüft werden, Schüler und Studierende überhaupt erst dazu, sich eher auf Stufe 1-3 der Bloomschen Taxonomie zu konzentrieren?

Was tun?

Wie ich bereits im Beitrag über Intuition geschrieben habe, neige ich häufig dazu, die Wahrheit in der Mitte zu sehen. Einerseits halte ich das Disney-Paradigma, dass man alles werden kann, wenn man es nur genug will, für gefährlichen Unsinn. Wir können nicht alles werden, und wir können schon gar nicht durch entsprechende Schulung aus jedem alles machen. Worin wir gut sind, hängt immer ab von Einsatz und Veranlagung. Andererseits gibt es durchaus Indizien dafür, dass das Bildungssystem sehr wohl einen Einfluss auf die Problemlösungskompetenz hat. So zeigt ein Blick in unsere internationalen Master-Studiengänge, dass sich so mancher Absolvent ausländischer Universitäten noch deutlich schwerer tut mit dem selbständigen Problemlösen, und das liegt sicherlich nicht an der Intelligenz, sondern an der Art, wie mancherorts noch immer Wissen vermittelt wird.

Zugleich bezweifle ich, dass wir uns bereits entspannt zurücklehnen und mit dem Status Quo zufrieden sein dürfen. Solange die verbreitetste Veranstaltungsform an Schulen und Hochschulen noch immer der Frontalunterricht ist und die verbreitetste Prüfungsform die 60-Minuten-Prüfung, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Studierenden auf Auswendiglernen und das Bearbeiten von kurzen Übungsaufgaben setzen, um die Stoffmengen zu bewältigen. Problemlösungskompetenz entwickeln sie auf diese Weise nicht.

Wenn es uns ernst ist damit, junge Menschen zu Problemlösern auszubilden, müssen wir so manches alte Paradigma hinterfragen: Ist eine große Stoffmenge in Zeiten des Internets wirklich wichtiger als der sichere Umgang mit Methoden? Erlernt man diese, indem man zweimal pro Woche 90 Minuten andächtig den Worten eines Dozenten lauscht und dann daheim ein paar Übungsaufgaben rechnet? Und welche Anreize setzt eine Klausur, von der man weiß, dass keine Teilaufgabe eine Bearbeitungsdauer von mehr als 15 Minuten haben wird?

Es ist einfach, von der Höhe des Professorenpults herab über die Jugend von heute zu klagen. Aber es ist etwas ganz anderes, jungen Menschen Wege aufzuzeigen, wie sie mehr werden können als reine Wissensreproduzierer. Wenn es uns ernst ist mit der Problemlösungskompetenz, werden wir mehr ändern müssen als nur ein paar Lernziele.

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