Bereits in der Einführung habe ich ja geschrieben, dass ich in den letzten anderthalb Jahren viel darüber gelernt habe, was ich alles nicht weiß. Heute will ich einmal von einem Forschungsgebiet berichtet, von dem ich nicht einmal wusste, dass es existiert: der Kognitionswissenschaft nämlich.
(Und ja, alle die sich seit Jahren damit beschäftigen: Lacht nur. Aber fragt euch danach vielleicht auch mal, warum euer Thema – zumindest in Europa – nicht bekannter ist.)
Also: Ich bin bis vor kurzem davon ausgegangen, dass die Kognition des Menschen etwas ist, womit sich die Psychologie beschäftigt, genauer (ta-dah!): die Kognitionspsychologie. Hier beschäftigt man sich mit der Frage, wie das menschliche Denken organisiert ist: wie funktionieren Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, wie speichert unser Gehirn Informationen, wie lernt es, wie löst es Probleme, produziert Ideen, trifft Entscheidungen oder trifft Schlussfolgerungen?
Nun neigt man als Informatiker natürlich bei all dem dazu, Vergleiche mit einem Computer anzustellen. Man sucht überall Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Gehirn und den Rechnern, die es sich ausgedacht hat. Tatsächlich hatten Leute wie Alan Turing, die die ersten Computermodelle erdacht haben, bevor man überhaupt Computer bauen konnte, genau das im Sinn: Sie wollten ein Modell dessen entwerfen, wozu menschliches Denken in der Lage ist und wozu nicht.
Was ist nun Kognitionswissenschaft?
Und letztlich ist genau das auch der Ausgangsgedanke der Kognitionswissenschaft. Im Gegensatz zur Kognitionspsychologie richtet sie den Blick nicht ausschließlich auf den Menschen, sondern auf alle Arten von denkenden oder informationsverarbeitenden Systemen. Natürlich hofft sie, dabei auch etwas über das menschliche Denken zu lernen, aber sie will auch umgekehrt das, was wir über menschliches Denken gelernt haben, auf künstliche Systeme übertragen.
Die Kognitionswissenschaft ist somit inhärent interdiszplinär. Instinktiv denkt man dabei an eine Kreuzung aus Kognitionswissenschaft und Informatik (insb. Künstliche Intelligenz), aber in den gängigen Darstellungen des Themas werden noch mehr Disziplinen genannt, die gerne in Form eines Heptagramms dargestellt werden.
Ursprünglich lag der Kognitionswissenschaft tatsächlich das sogenannte „Computermodell des Geistes“ zugrunde, nach dem man versuchte, das menschliche Gehirn als eine Art Computer zu modellieren. Dieses Modell gilt jedoch aufgrund heutiger Erkenntnis über die Funktionsweise des Gehirns als widerlegt. Stattdessen sucht man inzwischen nach Unterschieden, Gemeinsamkeiten und passenden Abstraktionen, die allen Arten von Kognition (natürlich wie künstlich) gerecht werden.
Verbindung zum Algorithmischen Denken
Eines der Probleme der Kognitionswissenschaft ist es, dass sie als Feld so gewaltig (und so unsauber gegen benachbarte Disziplinen abgegrenzt) ist, dass es niemand mehr überblickt. Wer sich davon überzeugen will, der kann einmal einen Blick in die Proceedings der Jahrestagung der Cognitive Science Society werfen, der stolze 3642 Seiten umfasst. Ich selbst habe jedenfalls noch nie einen derart riesigen Tagungsband mit derart vielen verschiedenen Themen gesehen. Die meisten Wissenschaftler sind daher nach wie vor nur in einem Teilbereich der Disziplin unterwegs und halten bestenfalls oberflächlich Kontakt zu den anderen Disziplinen.
Und so würde auch ich sie nutzen wollen. Tatsächlich hat die Kognitionswissenschaft manche Ergebnisse hervorgebracht, die hier tatsächlich relevant sind – so beispielsweise die bereits erwähnte Erkenntnis, dass sich biologische Gehirne eben nicht wie Computer verhalten. Zugleich gibt es Modelle, die sowohl biologische als auch technische Kognition als informationsarbeitende Systeme beschreiben, und die sind für die Zwecke meines Projekts natürlich nützlich. Hilfreich finde ich auch, dass man überall dort, wo man eine Verbindung zwischen zwei der oben genannten Disziplinen sucht (beispielsweise zwischen der Philosophie des Geistes und der Informatik / Künstlichen Intelligenz), in der Kognitionswissenschaft fündig wird.
Andererseits fehlt der Kognitionswissenschaft (soweit ich das am Anfang meiner Reise überblicke jedenfalls) eine wichtige Komponente dessen, was mich im Rahmen meines Projektes interessiert. Sie versteht sich nämlich in erster Linie als deskriptive Disziplin, die beschreibt, wie kognitive Systeme Informationen verarbeiten. Letztlich will sie in erster Linie verstehen, wie Kognition funktioniert. Sie scheint dagegen weniger daran interessiert, sich präskriptiv zu betätigen.
Letzteres ist aber gerade ein Ziel des algorithmischen Denkens: Es geht darum, analog zur Entscheidungstheorie nicht nur zu beschreiben, wie wir typischerweise an eine Aufgabenstellung (sei es nun das Treffen einer Entscheidung, das Lösen eines Problems oder das Schaffen kreativer Werke) herangehen, sondern auch, wie wir es tun sollten. Somit reiht sich die Kognitionswissenschaft ein in die lange Reihe von Disziplinen, die zu diesem Ziel beitragen können, ohne es jedoch als Hauptfokus zu haben.