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Mythbusting: Die 10.000-Stunden-Regel

In Selbstoptimierungs-Kreisen kursiert ja gerne mal die 10.000-Stunden-Regel. Diese besagt, dass man auf dem Weg zur Meisterschaft eines Themengebiets 10.000 Stunden lang üben muss.

Nun lese ich ja (siehe Eintrag letzte Woche) gerade das Buch „Peak“ von Anders Ericsson, und das ist zufälligerweise der Wissenschaftler, auf dessen Arbeiten diese 10.000-Stunden-Regel zurückgeht. In seinem Buch geht er auch ausdrücklich darauf ein – und erklärt, warum sie so gar nicht stimmt.

Hintergrund

Die 10.000-Stunden-Regel wurde von Malcolm Gladwell in seinem Buch „Outliers“ (2008) bekannt gemacht. Sie bezieht sich auf eine Studie, die Ericsson und seine Co-Autoren Anfang der 1990er Jahre mit Berliner Musikstudierenden durchgeführt hatten.

Diese Studie hatte ergeben, dass die wirklich herausragenden unter den Geigenschülern eine Gemeinsamkeit hatten: Sie hatten im Alter von 20 Jahren durchschnittlich 10.000 Übungsstunden mit ihrem Instrument absolviert.

Diese Beobachtung wurde von Gladwell verallgemeinert und fand Eingang in das Gruppengedächtnis der Selbstoptimierungs-Community. Nur ist sie wissenschaftlich überhaupt nicht haltbar…

Kritikpunkte

Ericsson nennt in „Peak“ gleich eine ganze Reihe von Punkten, warum diese Regel keinesfalls so verallgemeinerbar ist.

Zunächst einmal handelt es sich „nur“ um die Stunden, die die Geigenschüler im Alter von 20 Jahren absolviert hatten. Zu diesem Zeitpunkt gehörten sie aber noch gar nicht zu den Besten der Besten – sie gehörten lediglich zu der Teilgruppe von Musikstudierenden, denen ihre Lehrer zutrauten, eines Tages in diesen illustren Kreis vorzustoßen. Bis dahin stünden ihnen aber noch viele Jahre mit weiteren tausenden Übungsstunden bevor (Ericsson selbst tippt eher auf 20.000-25.000 Stunden, bis man Wettbewerbe gewinnt oder einen der begehrten Plätze in einem hochklassigen Orchester erreicht).

Außerdem schwankt die Zahl der Stunden, die man bis zur Meisterschaft investieren muss, je nach Themengebiet stark. So gibt es Disziplinen, die strukturell einfacher, weniger weit entwickelt oder weniger umkämpft sind – hier kann man auch mit deutlich weniger Aufwand in den Kreis der Besten aufsteigen. Umgekehrt gibt es Disziplinen, die sehr komplex sind und bei denen „Meisterschaft“ die Kombination einer Vielzahl von Kompetenzen erfordert. Hier eine Stundenzahl auch nur abschätzen zu wollen, wäre schlicht unseriös.

Übrigens handelt es sich bei den 10.000 Stunden in der ursprünglichen Studie ohnehin nur um einen Durchschnittswert, d.h. es gab durchaus auch Kandidaten, die weniger Zeit investiert hatten, während andere mehr Stunden aufgewandt hatten.

Besonders wichtig ist aber, dass es nach Ericsson keinesfalls ausreicht, sich 10.000 Stunden lang mit dem Themengebiet beschäftigt zu haben, in dem man es zur Meisterschaft bringen will. Man muss vielmehr wirklich an seinen Fehlern und Schwächen arbeiten, regelmäßiges Feedback einholen und sich Tipps und Tricks von den Besten abschauen.

Hier kann man die Analogie zu körperlichen Aktivitäten nutzen, bei denen manchmal zwischen Training und Sport unterschieden wird. Training in diesem Sinne ist eine zielgerichtete Aktivität, bei der man explizit versucht, besser zu werden. Sport dagegen ist die Anwendung des bereits erworbenen Könnens. Leider wird man durch Sport in diesem Sinne kaum besser – die Fortschritte kommen durch Training. Und bei den 10.000 Stunden, die die Geigenschüler investiert hatten, handelte es sich um reine Trainingsstunden. Die Anwendung des bereits Erlernten (z.B. bei Auftritten) wurde da gar nicht mitgezählt.

Was bleibt?

Wenn man all diese Faktoren bedenkt, wird klar, dass die 10.000 Stunden eine ziemlich willkürliche Zahl sind, die sich gut merken lässt, die aber in den meisten Fällen viel zu ungenau oder schlicht falsch ist. Das hat sie gemeinsam mit anderen schönen, runden Zahlen (etwa der 10.000-Schritte-Regel), die ebenfalls eher aufgrund ihrer Ästhetik als aufgrund ihres Wahrheitsgehalts ausgewählt wurden.

Eines stimmt aber natürlich trotzdem: Wer es an die Spitze bringen will, muss sehr viel Trainingszeit über einen langen Zeitraum investieren. Und zwar richtiges Training (im Sinne von: ständig an Verbesserungen arbeiten) und nicht nur Wiederholung dessen, was man schon kann. Dieses Training ist normalerweise anstrengend, oft frustrierend und so gut wie nie vergnügungssteuerpflichtig.

Und man sollte sich nicht selbst mit der Ausrede trösten, dass es „denen da oben“ sicherlich irgendwie zugeflogen ist. Diese These lässt sich beim Blick auf nahezu jedes Themengebiet, wo es auch nur einen Hauch von Konkurrenz gibt, leicht widerlegen: Auch wem die Anfänge leicht fallen, wird es niemals zur Meisterschaft bringen, wenn er nicht auch sehr viel Zeit darauf verwendet, besser zu werden…

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