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Problemlösen als Suchproblem

Das Modell von Newell und Simon

Die legendären Psychologen und KI-Pioniere Allen Newell und Herbert A. Simon beschrieben das Problemlösen in ihrem Buch Human Problem Solving (1972) in Form eines Suchproblems. Dazu überlegt man sich Folgendes:

  • Zu Beginn befindet sich das Problem in einem Startzustand. Ziel der Problemlösung ist es, einen Endzustand mit bestimmten Eigenschaften zu finden. Je nach Art des Problems kann es einen oder viele Endzustände geben (oder sogar die Erkenntnis, dass es keinen Endzustand gibt, der die gewünschten Eigenschaften besitzt).
  • Der Problemlöser verfügt über eine Reihe sogenannter Operatoren, mit denen er das Problem in einen neuen Zustand überführen kann.
  • Bei einem „echten“ Problem reicht es nicht aus, nur einen einzigen Operator anzuwenden, um in einen Zielzustand zu gelangen. Man muss eine Kombination von Operatoren finden, mit denen man in mehreren Schritten zum Ziel gelangt.

Die Menge aller möglichen Problemzustände wird auch als Problemraum bezeichnet – die Kunst des Problemlösens besteht dann darin, diesen Problemraum so effizient wie möglich zu durchsuchen.

Beispiel: Verschiebepuzzle

Beginnen wir mit einem künstlichen, stark verregelten Problem mit einem einzigen Zielzustand: einem sogenannten Verschiebepuzzle. Das nachstehende Beispiel zeigt auf der linken Seite einen möglichen Startzustand; Ziel ist es, den auf der rechten Seite abgebildeten Zielzustand zu erreichen. Dabei darf in jedem Schritt immer nur ein Stein verschoben werden, indem er auf das freie Feld bewegt wird.

Verschiebepuzzle – Start- und Zielzustand

Je nach Situation auf dem Brett sind daher pro Schritt maximal 4 verschiedene Züge möglich. Im ersten Zug können beispielsweise die Steine 4, 5, 1 oder 8 bewegt werden. Im zweiten Zug entstehen dann wieder andere Möglichkeiten, wie im folgenden Suchbaum dargestellt:

Verschiebepuzzle – erste Züge

Um eine Lösung zu finden, muss man eben diesen Baum durchsuchen. Da aber bereits ein Suchbaum mit nur 10 Zügen (die meist nicht ausreichen) knapp 75.000 Zustände besitzt und somit von einem Menschen nicht mehr vollständig durchsucht werden kann, braucht man eine Strategie, die klüger ist als „einfach mal alles ausprobieren“. Hilfreich sind dabei beispielsweise ein Qualitätsmaß (Ist der neue Zustand besser oder schlechter als der vorangegangene?), Erfahrung (Routinierte Spieler können oft gedanklich mehrere Züge zu einem einzigen Operator zusammenfassen und sparen so viel Zeit) und die Fähigkeit, mehrere Züge voraus zu denken und zu bewerten, ohne sie tatsächlich ausführen zu müssen.

Real-Life Problems

Nun mag das obige Beispiel noch recht konstruiert wirken, aber letztlich geschieht beim Lösen von Alltagsproblemen auch nichts anderes.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen eines Abends aus dem Training und stellen fest, dass ein Reifen an ihrem Auto platt ist. Es ist dunkel, Sie können kaum etwas erkennen. Was tun Sie? Sie können zum Telefon greifen und den ADAC (oder einen kompetenten Freund) anrufen. Sie können ins Fitnessstudio zurückgehen und dort nach Hilfe fragen. Sie können sich selbst an die Arbeit machen und dabei feststellen, dass in Ihrem Auto gar kein Ersatzrad liegt (wie sie es in der Fahrschule vielleicht noch gelernt haben), sondern lediglich ein Reparaturkasten. Lernen Sie jetzt auf die Schnelle, Reifen zu reparieren? Suchen Sie sich jetzt doch Hilfe? Oder fahren Sie den Wagen einfach mit gesetztem Warnblinker auf der Felge heim? Letztlich stehen Sie vor einer Vielzahl von Handlungsalternativen, die unterschiedliche Vor- und Nachteile haben und oft auch nicht in einem Schritt zur Lösung führen, sondern weitere Schritte nach sich ziehen. Was genau Sie tun können, hängt von den Operatoren ab, die Ihnen zur Verfügung stehen, und unterscheidet sich von Person zu Person – der eine hat viele Bekannte, die er um Hilfe bitten könnte, der andere hat schon einmal einen Reifen repariert usw. Und zu guter Letzt mag auch jeder andere Anforderungen an den Zielzustand stellen – der eine will einfach nur nach Hause und hat kein Problem damit, den Wagen morgen von der Werkstatt abholen zu lassen, der andere will seinen fahrbaren Untersatz so schnell wie möglich wieder fahrtauglich bekommen.

Der Hauptunterschied zwischen Alltagsproblemen und konstruierten Problemen vom obigen Typ ist, dass die Zahl der Operatoren und möglichen Zustände bei Alltagsproblemen für gewöhnlich deutlich größer ist. Auch gibt es meist nicht nur einen einzigen Zielzustand, sondern eine ganze Reihe möglicher „Lösungen“, die unterschiedlich gut sind und mit unterschiedlichem Aufwand erreicht werden können. Unser Gehirn verwendet daher zum Problemlösen Heuristiken – es macht sich gar nicht erst die Mühe, eine perfekte Lösung zu finden, sondern versucht mit einem Näherungsverfahren eine akzeptable Lösung zu finden, die mit überschaubarem Aufwand erreicht werden kann.

Letztlich handelt es sich aber auch hier um ein Suchproblem, das durch einen Baum modelliert werden kann (auch wenn der Baum wahrscheinlich zu groß ist, um ihn aufzuschreiben). Informatiker erkennen die Art von Algorithmen, mit denen man solche Bäume durchsucht, sofort, und wir werden sie uns in den nächsten Beiträgen genauer ansehen – auch, weil sie uns helfen, die verschiedenen Klassen von Problemen und die dafür geeigneten Suchstrategien zu unterscheiden.

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